Vita - Katja Neumann M.A.

„Man muss suchen, erobern; und nichts ist angenehmer, als wenn die Phantasie in Bewegung gesetzt ist.“

August Strindberg (1849 –1912) Schriftsteller, Maler und Fotograf                                           

Facetten der Fotografie

Seit mehr als vier Jahrzehnten beschäftigt sich der Künstler Hans Benesch (*1946) mit dem Medium der Fotografie. Die vorliegende Publikation zur gleichnamigen Ausstellung in der Galerie im Badischen Kunstforum stellt anhand von exemplarischen Beispielen einen Überblick seiner Fotoarbeiten aus den Jahren 1968-2012 dar.

Thematisch werden dabei drei Aspekte seines fotografischen Werkes gezeigt:  Analoge Schwarz-Weiß-Fotografien (Abb. S. 11-22), neue digitale Aufnahmen (Abb. S. 23-32) sowie die malerische Bearbeitung von Fotografien (Abb. S. 33-35).

Die Motive von Beneschs Arbeiten sind weit gefächert; sie reichen von Porträtaufnahmen, Stadtansichten, Interieurs, Landschafts- und Naturaufnahmen bis hin zu scharf beobachteten Menschenbildern und kuriosen „Alltäglichkeiten“.

Entstanden sind die Fotografien teils auf Reisen, aber auch in der unmittelbaren Umgebung des Künstlers – Benesch fängt dabei keine inszenierten Arrangements, sondern „Entdecktes“ und „Gesehenes“ ein. Orte, Szenen und Situationen, die ihm begegnen, Plätze, die ihn im Vorbeifahren zum Aussteigen bewegen, besuchte Innenräume, die er atmosphärisch dicht festhält oder Menschen, die er „wie zufällig“ aufnimmt.

Sind Beneschs schwarz-weiße Handabzüge grafisch markant und formal ästhetisch, so sind es selten nur die Lichtverhältnisse, Oberflächen, Materialien und Formen, die den Fotografen reizen. Oft fordert das Bild den Betrachter heraus und bietet eine „zweite“ Ebene, das Gesehene zu hinterfragen und nach einer Geschichte in oder hinter der Fotografie zu suchen – sicher auch Ausdruck von Beneschs Blick auf die Welt, der kritisch und insistierend ist.

Die Veränderung unserer Medienlandschaft und damit die Veränderung unserer Sehgewohnheiten, sie ist oft genug beschrieben worden. Beneschs Bildsprache fordert es heraus -  das Sehen und Entdecken, das Hinterfragen eines Bildes, das Spiel mit Präsentem und Abwesendem.

Exemplarisch hierfür steht eine Schwarz-Weiß-Aufnahme aus dem Jahr 1983 (Abb. S. 11), die Interesse evoziert, weil sie Fragen aufwirft und gedeutet werden will.

Die Frontalaufnahme einer in Freiburg aufgenommenen grauen und trist wirkenden Häuserfassade. Vor der Hauswand eine trostlos wirkende und lieblos angelegte Blumenrabatte. Ein weißer Pfeil „stürzt“ an der Hauswand herab, übermalt den Fensterrahmen und zeigt mit seiner Pfeilspitze auf ein Kellerfenster vor der Blumenrabatte.

Auf den ersten Blick ein skurriler Anblick diese bemalte Hauswand – auf den zweiten ein Zeitdokument, denn der Pfeil mit seiner Signalwirkung wies die Bürger der Stadt im Zweiten Weltkrieg auf einen Schutz bietenden Luftschutzkeller hin und dokumentiert somit das Bild einer Stadt, das sich unserem Auge schon gänzlich entzogen hat.

Auch die Menschenaufnahmen des Fotografen lassen häufig eine Geschichte erahnen. Mit einem ausgeprägten Gespür für Hintersinniges, Kurioses und Bizarres, häufig  in melancholischer Lesart, spürt Hans Benesch dem menschlichen Miteinander und dem Menschen in seinem Umfeld nach. So zum Beispiel das Foto eines Paares, das in Liegestühlen sitzend die Sonne am Strand genießt (Abb. S. 14). Trotz des sommerlichen Ambientes kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass eine gewisse erschöpfte „Leere“ und Sprachlosigkeit zwischen dem Paar eingefangen ist. Das Motiv weckt unser Interesse und vielleicht eine voyeuristische Neugier…

Bereits in den 80er Jahren beschäftigte sich Hans Benesch auch technisch intensiv mit einem neuen Weg der Fotografie: Das von ihm selbst entwickelte Verfahren der Luxographie, das auf der Nutzung fototechnischer Möglichkeiten beruht, erlaubt es, Malerei und Fotografie miteinander zu kombinieren und eine spezielle Leuchtkraft der Farben zu entwickeln.

2012 Jahr machte Benesch wiederum die Auseinandersetzung mit Farbe in der Fotografie, jetzt in Form der Digitalfotografie zu seinem Thema: Ausgangspunkt für die Beschäftigung mit dieser Technik waren 30 Jahre alte Polaroid Fotos, die Benesch digitalisierte. Die veränderte Farbigkeit, ihre Unschärfe und die Nähe zur Malerei veranlassten den Fotografen zu einer intensiven Auseinandersetzung mit neuen digitalen Techniken und ihren Möglichkeiten, um zu einem vergleichbaren Bildeindruck zu gelangen. So nutzte Benesch neue Filmaufnahmeprogramme, die Farbigkeit und Auflösung alter Filme simulieren und kreierte neue Fotografien im Stil und Format der Polaroid-Fotografie.  Von jeher faszinierte ihn an der Polaroid-Fotografie die „Kreativität im Augenblick der Aufnahme“ und ihre „berechenbare Technik“, deren Ergebnis im Gegensatz zu den sensiblen Schwarz-Weiß-Aufnahmen ohne weitere Bearbeitung und Korrektur „steht“.

Es ist vor allem die Farbe, die in Beneschs Digitalfotografien, zu einer eigenen, oft surrealen Stimmung beiträgt. Sie verleiht den Fotografien eine suggestive, oft dunkle und bedrohliche Atmosphäre. So zum Beispiel die Aufnahme einer norddeutschen Weidelandschaft (Abb. S. 30), deren Farbstimmung eine rätselhafte Unheimlichkeit erzeugt. Wiedergegeben beispielsweise in einem in der Holsteinischen Schweiz aufgenommenen Foto eines Gewässers (Abb. S. 29), das ein unbestimmtes Gefühl der Beklemmung auslöst. Aufgenommen im glutroten Licht der untergehenden Sonne, scheint sich ein am Ufer stehender Holzzaun nicht in Wasser, sondern in fließendem Blut zu spiegeln.

Im Gegensatz zur traditionellen Schwarz-Weiß-Fotografie zeigt die Verwendung eines Farbfilms, dass das Medium der Farbfotografie eigenen Gesetzmäßigkeiten folgt und dass Farbe denselben Stellenwert wie Komposition und Inhalt hat. So wird beispielsweise durch die farbliche Betonung einzelner Elemente der Blick des Betrachters gelenkt; häufig „erleichtert“ Farbe den Zugang zu einer Fotografie, markiert Formen, setzt Akzente und ordnet das Bild durch optische Zusammenhänge und Kontraste (Beispielsweise Abb. S. 28).

Besonders reizvoll an Beneschs Digitalfotografie ist ihr inhaltlicher Verfremdungscharakter, der teilweise eine „fiktive Realität“ zu erschaffen scheint. Sind wir daran gewöhnt, dass Bilder verfügbare Abbilder einer Welt sind, die wir kennen, so erzeugen diese Fotografien eine neue Wahrnehmung. Vertrautes wird zum Fremdartigen und Dinge scheinen anderswo verortet zu sein. So erinnert die nächtliche Häuserfassade (Abb. S. 31) an die atmosphärisch düster aufgeladenen Szenen des amerikanischen Malers Edward Hopper. Aufgenommen wurde die Fotografie jedoch in einer kleinen badischen Gemeinde.

Benesch gelingen Neuinszenierungen, die Bekanntes aus dem Kontext heben und ein neues „Sehen“ auf Gewohntes evozieren.

Ein dritter Aspekt der Fotoausstellung sind die malerisch bearbeiteten Fotografien, die stark auf den Maler Hans Benesch rückverweisen. Die mit Ölkreiden und Ölfarbe übermalten Fotografien – auch sie schaffen neue Kontexte.

Was geschieht mit der Fotografie durch die malerische Bearbeitung? Beispielsweise bemalt Benesch ein Landschaftsbild, lässt aber Teile eines Feldes oder Berghänge „durchblitzen“ (Abb. S. 33). Der pastose Farbauftrag in den Farbwerten der Fotografie verdeckt Teile des fotografischen Bildes, reißt einzelne Elemente auseinander und lässt sie unter Farbschichten verschwinden. Durch den interpretierenden Pinselstrich entsteht ein Bild von haptischer Mehrdimensionalität mit Tiefen und neuen Bezügen von Formen und Farben. Das Auge des Betrachters kann zwischen verschiedenen Ebenen wechseln und sucht nach Vormaligem.

Die Fotografie wird zum Bildträger, der zwar bearbeitet, aber nicht vollständig über-malt wird. Wie auch bereits bei Beneschs Buchübermalungen (ca. 1993) wird das ursprüngliche Bild durch das Überlagern neuer Bildinformationen verändert, aber nicht zerstört, da Teile des fotografischen Bildgrundes noch erkennbar sind. Die Folge ist, dass die Fotografie in ihrer Aussage nicht mehr auf sich selbst verweist, sondern eine neue mehrdeutige Dynamik zwischen Fotografie und Malerei entsteht, die mit den beiden Polen „Enthüllen“ und „Verbergen“ spielt. Wird der Bildgrund einerseits durch die farbliche Bearbeitung angegriffen und überdeckt, so gibt andererseits die Malerei die fotografischen Fragmente preis.  Wird auch durch die intendierte „Störung“, den manipulativen Akt der Übermalung die ursprünglich angelegte Bildinformation der Fotografie verändert, so wird doch durch die Überlagerung beziehungsweise das Nebeneinander von Malerei und Fotografie eine neue Form der „Originalität“ generiert, die sich der Reproduzierbarkeit der Fotografie entzieht.

Katja Neumann M.A., Kunsthistorikerin


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