Vita - Cordula Grewe MA

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Hans Benesch - Buchübermalungen

Im Zentrum von Hans Beneschs malerischer Umgestaltung von Büchern steht ein Dialog mit Vergangenheit, mit Geschichte. Der Künstler begreift Bücher als Ausdruck menschlichen Fühlens und Denkens, als aussagekräftige Vermittler von Wertvorstellungen vergangener Zeiten und Kulturen. Neben der inhaltlichen Komponente erfüllt die Auseinandersetzung mit formal eigenständigen Vorlagen eine wichtige Funktion im künstlerischen Schaffensprozeß: Indem zwischen Buch und ästhetischen Ideen Hans Beneschs ein Spannungsfeld entsteht, sich das Vorhandene einer schnellen Überarbeitung widersetzt und seine optische Individualität bewahrt, findet der Maler in diesem kreativen Diskurs zu neuen gestalterischen Lösungen.

Seit 1993 widmet sich der Künstler der Bearbeitung und Übermalung von Büchern. Seiner ersten großen Serie
liegt ein 1929 in Frankfurt am Main publiziertes Mathematikbuch zugrunde, Reinhardt-Zeisbergs mathematisches Unterrichtswerk für höhere Schulen: die Anfänge der Darstellenden Geometrie. Dieses Buch verkörpert für Hans Benesch eine Proklamation strikter Ordnungsprinzipien. Zerstückelung und Verfremdung dieses Buches erscheinen somit quasi als Angriff gegen eine Form logisch festgefügten Denkens. Die Aura des Mathematikbuches zerstört Benesch, indem er es einem neuen kreativen Akt unterzieht. Die freie Behandlung der aufgetragenen Farbe, der spontane Farbauftrag konterkarieren die Ordnung des Buches. Den überwiegend linearen Formen der behandelten geometrischen Figuren stellt Benesch z.B. im Blatt "Darstellende Geometrie 0" ein wirbelndes, expressiv gestaltetes Oval entgegen, das er einerseits als Element der Bewegung gegen die Starre der vorgefundenen Muster setzt, das andererseits eine rahmende Funktion übernimmt. Durch Einkreisen des Titels erreicht er einen dramatischen Effekt, der den gotischen Buchstaben des Originals eine fast gespenstisch-bedrohliche Note verleiht. Auf diese Weise vermittelt der Künstler durch visuelle Gestaltung die bedrückenden Gefühle, die er assoziativ mit Reinhardt-Zeisbergs Mathematikwerk und der damit festgefügten Ordnung verbindet und überwindet diese zugleich, indem er ein neues Werk erschafft.

Eine ganz andere Haltung prägt hingegen die Bearbeitung des Buches "Skandinavien". In dieser Serie wählt Hans
Benesch eine Veröffentlichung über nordische Felsritzungen der Bronzezeit, die Lisa Schroeter-Bieler 1987 herausgab, als Ausgangspunkt aus. Für die Reproduktionen der in diesem Buch behandelten Felsbilder verzichtete die Autorin auf das Mittel der Photographie, stattdessen pauste sie die Ritzungen mit einem weichen Grafitstift ab. Beneschs Vorlage besaß in diesem Fall also bereits zwei hervortretende ästhetische Komponenten. Zum einen die formale Schönheit der skandinavischen Felsritzungen selbst, zum anderen die graue, bewegte Struktur der Grafitpausen, die die rauhe Oberfläche des Felsens evoziert. Beherrschte eine Form der Konfrontation die erste Serie, suchte Benesch diesmal im Gegensatz dazu ein Verstehen dieser Äußerung einer vergangenen frühen Kultur in Europa zu erreichen, gestaltete sich sein Schaffensprozeß als ein Miteinander mit dem Gegebenen. Die andersartige emotionale Reaktion des Künstlers auf die Vorlage spiegelt sich im unterschiedlichen formalen Umgang mit ihr. Benesch gestaltet die Blätter mit großer Sensibilität für das Original um, unterstreicht quasi das, was er an künstlerischem Ausdruck bereits vorfindet.

In seinem Blatt "Der Himmel über Europas Wiege" S. 15, das eine Jagdszene wiedergibt, hebt er die Figuren durch
unregelmäßig ausgeführte rote Umrandungen hervor, ergänzt durch gelbe Lasuren. Die dargestellten Hunde, die die menschlichen Gestalten begleiten, färbt er schwarz und rot. Ein blaues Farbfeld hinter der oberen Figurengruppe ergänzt das Farbspektrum um die dritte Primärfarbe. Der linearen heraldischen Ursprungsform der Ritzungen
verleiht Benesch eine farbige Fassung, die die Expressivität und Lebendigkeit der skandinavischen Figurinen steigert. Seit dem Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, seit Kubismus und Expressionismus, gehört die Integrierung von Kultwerken früher oder primitiver Kulturen zum festen Bestandteil der westlichen Kunst unserer Zeit. Dies erklärt das erstaunliche Phänomen, nämlich die formalen wie ästhetischen Ähnlichkeiten, die zwischen den Schöpfungen eines Künstlers wie Keith Haring und den überarbeiteten Ritzungen skandinavischer Jäger bestehen. Darum wirken Beneschs übermalte Blätter trotz der mehr als tausend Jahre alten Vorgabe so modern, so zeitgenössisch. Gleichzeitig bewirkt die Umgestaltung der Ritzungen eine Säkularisierung des Bildmaterials, führt zu einer Ästhetisierung, die die ursprüngliche Kultfunktion dieser Felszeichnungen zerstört. In der formalen Bezugnahme vollzieht Benesch noch einmal den Prozeß einer Loslösung der Kunst vom Kultus, wie sie in der westlichen Welt unwiderrufbar im neunzehnten Jahrhundert erfolgte. Die entstandenen Ergebnisse von Beneschs Arbeit zeigen aber auch, daß diese uralten Gestaltungen immer noch eine Aussagekraft besitzen, auch wenn er diesen ihren ursprünglichen Sinn veränderte. Über unser Empfinden können sie uns heutige Menschen immer noch
in Erstaunen und Ehrfurcht versetzen, ein Vorgang, den die farbliche Ausgestaltung fördert.

Buchübermalungen besitzen für Hans Benesch also zwei entscheidende Charakteristika: Zum einen präsentieren sie
sich als Angriff auf die Aura, welche kostbare Bücher umgibt, auf deren antiquarische Behandlung, zum anderen stellen sie einen fruchtbaren Dialog mit den Schöpfungen anderer Menschen her. Bei seiner Arbeit seziert Benesch Bücher gleichsam, reißt in einem Akt von Brutalität Seiten heraus, um den ursprünglichen Inhalt zugunsten eines neuen, ganz aus seinem Inneren geschöpften Sinngehaltes umzuformen. Dabei treten die entstehenden Kunstwerke nicht nur in den Dialog mit der gegebenen Vorlage, sondern lassen auch ein Gewebe von Bedeutungen mit- und untereinander entstehen. In Zyklen aufgebaut, erscheinen die Bilder als Bestandteile eines Kaleidoskops, in dem jedes einzelne Element als Bestandteil des Gesamtwerkes auftritt, sich diesem gleichsam unterordnet und doch seine Eigenständigkeit durch individuelle Rahmung beibehält. Die Aussage des Kunstwerkes als die Summe seiner Einzelteile gestaltet sich folglich je nach Hängung verschieden, so daß das Hängen selbst zum kreativen Akt wird. Damit thematisiert Hans Benesch das spannungsreiche Verhältnis von Zusammengehörigkeit und Individualität, von Einheit und Vielheit.

Die Buchübermalungen von Hans Benesch zeichnet ihre Intimität, ihre Nähe zum Betrachter aus. Diese Eigenschaft
ist dabei für Benesch Programm. Der Künstler vertritt die Ansicht, daß sowohl Format als auch Art der Entstehung den Ort der idealen Hängung beeinflussen. Im Schaffungsprozeß legt der Künstler den Bestimmungsort seiner Gemälde fest. Im Gegensatz zur Gigantomanie der siebziger und achtziger Jahre, in denen Künstler Leinwände riesigen Ausmaßes von vorneherein nur für das Museum produzierten, bevorzugt Hans Benesch Konzeptionen, die auf relativ kleine Räume abzielen. Seine Bilder bleiben erfaßbar, leben vom Zwiegespräch.
Als Fazit läßt sich sagen, daß der Dialog im Zentrum von Hans Beneschs Buchübermalungen steht: Ein Dialog mit Sinn, Ästhetik und Aussage der Bücher, ein Dialog der bearbeiteten Seiten untereinander und zuletzt der vollendeten Bilder mit ihrer Umgebung.

Cordula Grewe M.A., American University, Überlingen 1994



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